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04.09.2019

Vor Kipchoge: Lauflegenden in Wien - Paavo Nurmi (Teil 2) (Vienna City Marathon)


Wiener Laufgeschichte und Laufenergie: Weltrekord verkündet – aber nie anerkannt

Wien ist eine Stadt mit außergewöhnlicher Lauf-Historie. Eliud Kipchoge, der bei der INEOS 1:59 Challenge im Oktober im Prater versucht, die Zwei-Stunden-Barriere im Marathon zu unterbieten, ist nicht die erste Lauflegende, die in Wien startet. Gut neun Jahrzehnte vor ihm lief auch, selbst Leichtathletik-Freunden wenig bekannt, Paavo Nurmi in Wien. Der berühmte Finne, der neun Olympia-Goldene gewann und 22 offizielle Weltrekorde erzielte, startete 1926 und 1928 auf der Hohen Warte.

Nur zwei Tage nach seinem ersten Auftritt in Wien, als er am 19. September 1926 die 3000 m in 8:27,6 gewonnen hatte, wurde Paavo Nurmi erneut auf der Hohen Warte angekündigt. Im Rahmen eines Abendmeetings für einen Weltrekordversuch über 5000 m, wobei er gegen eine Staffel mit fünf österreichischen Läufern antreten sollte, so hieß es zumindest. „Niemand sollte es versäumen, morgen abends Nurmi nochmals anzusehen“, mahnte die Sonn- und Montags-Zeitung. „Es wird dies das erste Abend-Meeting in Wien sein. Die Hohe Warte wird taghell beleuchtet sein“, berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung, es werde „ein großes Spektakel“ sein - mit Tanzaufführungen, Damen-Handball, einem Lauf einer Damen-Staffel über 12 x 100 Meter, Musik (Regimentskapelle) und einem großen Feuerwerk („Pyrotechnische Huldigung Nurmis“). Die Stunde kündigte den Finnen, „das Weltwunder“, an: „Nurmi startet heute auf der Hohen Warte – Er will dem Weltrekord über 5000 Meter auf den Leib gehen – Nurmis Gegner: Eine Staffel der fünf besten 1000 Meter-Läufer Österreichs!“

„Oh Wunder, die Fahrt wird noch schneller!“

Dieses Abend-Meeting wurde laut allen Zeitungsberichten ein wahrhaft sensationeller Erfolg. Das Spektakel unter Flutlicht gelang perfekt. Die Scheinwerfer leuchteten das Rund „wunderbar“ aus. Und Nurmi lief laut den meisten Zeitungen, gezogen von den Staffelläufern, die sich bei der Führungsarbeit abwechselten, als 5000-m-Zwschenzeit über die drei englischen Meilen einen Weltrekord in 14:07,4 Minuten. 15.000 Zuschauer, so die Illustrierte Kronen Zeitung vom 22. September, erlebten „eine Monstervorstellung“, titelte: „Nurmis nächtlicher Weltrekord!“ und schwärmte im Text: „Die Hohe Warte hat sich nachts in ein Freiluftkino verwandelt mit dem fünf Kilometer langen, packenden Sensationsfilm: Paavo Nurmi! Fünf Scheinwerfer leuchten gespenstisch das große Sporttheater ab.“

Wie schon zwei Tage zuvor begeisterte Nurmi die Massen und die Reporter mit seinem einmaligen Laufstil. „Die Füße, die unheimlich langen Füße, raffen Raubtieren gleich, aus den Hüften Meter an sich. Meter um Meter. Die Schritte sind federnd und leicht“, so die Illustrierte Kronen Zeitung, die das Rennen dramatisch Runde zu Runde schildert: „Die letzte Runde. Nurmi läuft wie er im Anfang gelaufen, ganz ruhig, sicher, selbstverständlich. Oh Wunder, die Fahrt wir noch schneller!“

Drei englische Meilen in 14:07,4 Minuten

Als der Sprecher die Weltrekordzeit von 14 Minuten und 7,4 Sekunden über die drei englischen Meilen oder 4827 Meter (korrekt sind es 4828,032 m) verkündet habe, sei „ein Beifallsorkan durch die Arena“ gegangen. Demnach habe der Finne seinen eigenen Weltrekord über die drei englischen Meilen (14:11,2 von Stockholm 1923) um rund vier Sekunden verbessert. Die 5000 m lief Nurmi auf der Hohen Warte in 14:34. Damals hielt er den 5000-m-Weltrekord seit Helsinki 1924 in 14:28,2. Fast alle Zeitungen bejubelten diesen Weltrekord. Die Sache hatte freilich einen Haken. Als offizieller Weltrekord ging die Zeit Paavo Nurmis nie in die Leichtathletik-Geschichte ein. Jene wenigen Zeitungen, die „nur“ von einer Weltbestzeit sprachen, sollten Recht behalten.

Tempomacher wechselten sich ab

Im Handbuch des Leichtathletik-Weltverbandes (International Amateur Athletic Federation) von 1927/1928 wurden auf Seite 68 die aktuellen Weltrekorde aufgeführt, für die drei englischen Meilen jene 14:11,2, die Nurmi am 24. August 1923 in Stockholm gelaufen war. Seine Wiener Zeit fand dort keinen Eingang. Zu offensichtlich war der Verstoß gegen die damals gültige Regel 16 des Weltverbandes, die das Ein- und Aussteigen von Tempomachern verbot: „No competitor shall be alowed to rejoin after leaving the track, either for the purpose of gaining a place or to pace or to assist another competitor.“ Eine Tempoarbeit für Nurmi haben die Staffelläufer von Wien aber eindeutig und mit klarem Auftrag geleistet.

Über die Führungsarbeit der Tempomacher berichtete das Sport-Tagblatt am besten. Diese Zeitung sprach auch nur von einer neuen „Weltbestleistung“, nicht von einem Weltrekord über drei englische Meilen. Hier hieß es, dass nicht, wie eigentlich geplant, eine Staffel mit fünf Läufern als Gegner antrat. Vielmehr war es eine „WAF-Stafette mit drei Aktiven“, und zwar mit Ludwig Deckardt, Rudolf Haidegger und Vicklicky. Gemeinsam mit Nurmi sei nur Henry Bruhnen „vom Mal“ gestartet. Konkret wird berichtet, dass sich die drei Tempomacher „nach je zwei Runden“ ablösten. „Da ungefähr zwölf Runden zu laufen waren, so lief jeder dieser drei Läufer zweimal zwei Runden.“ Erster Staffelläufer sei Deckardt, dann der frische Vicklicky (dessen Schreibweise seines Namens in vielen Zeitungen unterschiedlich war) gewesen. „Auch der dritte Mann, Haidegger, führte natürlich kurze Zeit. Dann sprangen in derselben Reihenfolge wieder Deckardt, Vicklicky und Haidegger ein.“ Sie halfen den Wunderläufer zu seiner Weltbestzeit. Dieser habe „mit seinen federnden, ungeheuer raumgreifenden Schritten anscheinend vollständig mühelos das Tempo“ gehalten. „Nurmi, die blau-weiße Laufmaschine, dieses unerhörte Phänomen, ließ sich führen oder führte selbst, je nachdem es ihm paßte.“

Parallelen zu Kipchoges INEOS 1:59 Challenge

Auch die Wiener Morgenzeitung begnügte sich mit der Bezeichnung „Welthöchstleistung“ und kritisierte: „Recht unglücklich war die Idee, Nurmi fortwährend durch die sich ablösenden Staffelläufer führen zu lassen. Man hätte so wie am Sonntag ein Handikap zusammenstellen sollen, damit das Publikum einen besseren Eindruck von Nurmis Leistung erhalten hätte. Die Staffelläufer lösten einander wiederholt ab und hatten die Aufgabe, den Finnen zu führen.“

Die Parallelen zu Eliud Kipchoges INEOS 1:59 Challenge sind augenscheinlich. Bei seinem Versuch, als Erster einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen, stützt er sich auf die Hilfe zahlreicher Tempomacher. Auch diese steigen – wie einst bei Nurmi auf der Hohen Warte – im Rennen ein und aus. Der feine Unterschied ist freilich, dass Eliud Kipchoge und die Veranstalter von Beginn an darauf hinweisen, dass es deshalb im Prater keinen offiziellen Weltrekord geben kann. Aber sein Start in Wien ist allemal eine Weltsensation, wie bei Nurmi 1926 auf der Hohen Warte…

Nurmi mit Feuerwerk gehuldigt

Den meisten Zeitungen war es aber egal, dass Nurmi von Tempomachern gezogen wurde, jubelten lieber über einen Weltrekord, wie es in diesem Bericht hieß: „Der erste leichtathletische Weltrekord auf Wiener Boden. Ein Festabend der Wiener Leichtathletik. Debüt der Hohen Warte als Nachtarena.“ Die Scheinwerfer der Sascha-Filmgesellschaft hätten in 24 Stunden „ein Feenreich auf der Hohen Warte“ geschaffen und „der gigantischen Leistung des finnischen Laufwunders den würdigen Rahmen gegeben“. Weiter im Text: „Als der Sprecher seine Zeit über 4827 Meter verkündete, da brauste ein Orkan der Begeisterung durch die Arena, der große Finne, der so rasch Wiens Liebling geworden ist, absolvierte die Ehrenrunde unter einem Jubel, wie er auf Wiener Boden noch keinem Sportsmann gespendet wurde.“ Der Tag schwärmte, dass man die „Kunst des Königs des Läufers“ erlebt habe: „Der bescheidene Hero. Der zweite Start Nurmis in Wien war vielleicht noch ein größeres Ereignis als sein Debüt am letzten Sonntag und wird der Wiener Sportgemeinde jedenfalls für lange, lange Zeit in der Erinnerung bleiben.“ Wie am Ende das Feuerwerk zur Huldigung Nurmis.

Der Neuen Freien Presse gelang mit Nurmi nach dem Rennen ein kurzes „Gespräch über seinen Weltrekord“. Darin kritisierte der Finne erneut die Laufbahn, „die nicht erstklassig“ gewesen sei. Vor allem bat Nurmi um die Bemerkung, „daß ich eine derartige Verherrlichung eines Sportmannes für unangebracht halte. Es kostete mich ziemliche Überwindung, die mir abgeforderte Ehrenrunde zu machen.“ Die Neue Freie Presse schrieb dazu: „Seine Bescheidenheit geht so weit, dass er erst förmlich gezwungen werden mußte, die Ehrenrunde zu machen. Er war bereits umgezogen und unterzog sich dieser Prozedur, die ihm eine Marter zu sein scheint, im Anzug, Kragen und Straßenschuhen.“

Das Neue Wiener Journal berichtete: „Es war ein wahres Fest für die Leichtathletik, einen solchen Zuspruch hatte hier noch kein Meeting. Nurmi, der Held des Abends, ist mit maschinenartiger Gleichmäßigkeit gelaufen. Bruttoeinnahmen 18.500 Schilling. Nurmi hat also der Vienna ein hübsches Sümmchen eingetragen.“ Und die Reichspost behauptet: „Die Begeisterung hatte er nicht einmal in Amerika erlebt und wird Wien deshalb dauernd in Gedächtnis bleiben. Nach der unter endlosem Jubel der Zuschauer zurückgelegten Ehrenrunde war Nurmi noch Gegenstand einer besonderen Ehrung: die gesamte Athletenschaft Wiens, Damen und Herren trat in Laufdreß an und huldigte dem großen Meister, indem sie vor ihm defilierte.“

Begeistert von der Waldluft, den Alleen in Schönbrunn und der Operette

Nurmi selbst erwies sich als sehr höflicher und bescheidener Gast. Im Neuen Wiener Journal und im Sport-Tagblattschrieb er einen Bericht unter seinem Namen: „Es ist mir ein Bedürfnis, der gastfreundlichen Bevölkerung Wiens für den großartigen Empfang zu danken, der mir in dieser schönen Stadt zuteil geworden ist. Während meines fünftägigen Aufenthalts hatte ich die Gelegenheit, viel von den Schönheiten Wiens zu genießen. Was mir dauernd in Erinnerung bleiben wird, ist die wunderbare Umgebung der Stadt, vor allem der Kobenzl mit seiner herrlichen Waldluft, die mir seit meinem Sommeraufenthalt in Chamonix nicht so würzig und erfrischend begegnet ist. Auch die geraden Alleen in den Parks, vor allem in Schönbrunn, haben mich begeistert und ich könnte mir keinen idealeren Platz zum Training wünschen als – Schönbrunn. Als Nordländer bewundere ich doppelt die herrlichen Palmen im Schönbrunner Palmenhaus, die mir einen ungeheuren und märchenhaften Eindruck hinterließen. Als Stadt der Kunst habe ich Wien gleichfalls genossen. Meine Wiener Freunde führten mich zum Heurigen nach Grinzing, wo ich das Wiener Wesen in seiner charakteristischen Eigenart sehen konnte, und in einem Theater lernte ich die weltberühmte Wiener Operette kennen.“

Nurmi kündigte, wohl auch als Akt der Höflichkeit, eine Rückkehr für 1927 nach Wien an. Die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung spekulierte im März 1927 schon, ob Nurmi vielleicht bei „Ring-Rund“, dem Lauf über 5,2 km, starten würde. Zumindest sei der Finne eingeladen. Die Neue Freie Presse schrieb Anfang September als Tatsache, dass Paavo Nurmi am 24. und 25. September in Wien über 1500 m und 5000 m laufen würde: „Nurmi startet in Wien.“ Daraus aber wurde nichts. Es sollte noch ein Jahr dauern, dass der große Finne wieder auf der Hohen Warten antreten würde. Dieses Meeting aber wurde ein wahrer Skandal.

Lesen Sie morgen Teil 3: Paavo Nurmi, Finsternis auf der Hohen Warte – drei Stunden lang Pfuirufe

Text: Olaf Brockmann. Der Text fußt auf Durchsicht folgender Zeitungen aus dem Archiv „ANNO - AustriaN Newspapers Online“ der Österreichischen Nationalbibliothek, Jahrgänge 1926 bis 1928: Arbeiter-Zeitung, Arbeiterwille, Das interessante Blatt, Das Kleine Blatt, Der Tag, Die Neue Zeitung, Die Stunde, Grenzbote, Illustrierte Kronen Zeitung, Linzer Tagespost, Neue Freie Presse, Neues Wiener Journal, Prager Tagblatt, Reichspost, Sport-Tagblatt, Tages-Post, Tiroler Anzeiger, Weltblatt, Wiener Bilder, Wiener Morgenzeitung, Wiener Sonn- und Montags-Zeitung.

Im Original hier erschienen: Vor Kipchoge: Lauflegenden in Wien - Paavo Nurmi (Teil 2)


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Paavo Nurmi - aus: Illustriertes Sportblatt, 25. September 1926 | ANNO - Österr. Nationalbibliothek




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Vor Kipchoge: Lauflegenden in Wien - Paavo Nurmi (Teil 2) (Vienna City Marathon)


Wiener Laufgeschichte und Laufenergie: Weltrekord verkündet – aber nie anerkannt

Wien ist eine Stadt mit außergewöhnlicher Lauf-Historie. Eliud Kipchoge, der bei der INEOS 1:59 Challenge im Oktober im Prater versucht, die Zwei-Stunden-Barriere im Marathon zu unterbieten, ist nicht die erste Lauflegende, die in Wien startet. Gut neun Jahrzehnte vor ihm lief auch, selbst Leichtathletik-Freunden wenig bekannt, Paavo Nurmi in Wien. Der berühmte Finne, der neun Olympia-Goldene gewann und 22 offizielle Weltrekorde erzielte, startete 1926 und 1928 auf der Hohen Warte.

Nur zwei Tage nach seinem ersten Auftritt in Wien, als er am 19. September 1926 die 3000 m in 8:27,6 gewonnen hatte, wurde Paavo Nurmi erneut auf der Hohen Warte angekündigt. Im Rahmen eines Abendmeetings für einen Weltrekordversuch über 5000 m, wobei er gegen eine Staffel mit fünf österreichischen Läufern antreten sollte, so hieß es zumindest. „Niemand sollte es versäumen, morgen abends Nurmi nochmals anzusehen“, mahnte die Sonn- und Montags-Zeitung. „Es wird dies das erste Abend-Meeting in Wien sein. Die Hohe Warte wird taghell beleuchtet sein“, berichtete die Illustrierte Kronen Zeitung, es werde „ein großes Spektakel“ sein - mit Tanzaufführungen, Damen-Handball, einem Lauf einer Damen-Staffel über 12 x 100 Meter, Musik (Regimentskapelle) und einem großen Feuerwerk („Pyrotechnische Huldigung Nurmis“). Die Stunde kündigte den Finnen, „das Weltwunder“, an: „Nurmi startet heute auf der Hohen Warte – Er will dem Weltrekord über 5000 Meter auf den Leib gehen – Nurmis Gegner: Eine Staffel der fünf besten 1000 Meter-Läufer Österreichs!“

„Oh Wunder, die Fahrt wird noch schneller!“

Dieses Abend-Meeting wurde laut allen Zeitungsberichten ein wahrhaft sensationeller Erfolg. Das Spektakel unter Flutlicht gelang perfekt. Die Scheinwerfer leuchteten das Rund „wunderbar“ aus. Und Nurmi lief laut den meisten Zeitungen, gezogen von den Staffelläufern, die sich bei der Führungsarbeit abwechselten, als 5000-m-Zwschenzeit über die drei englischen Meilen einen Weltrekord in 14:07,4 Minuten. 15.000 Zuschauer, so die Illustrierte Kronen Zeitung vom 22. September, erlebten „eine Monstervorstellung“, titelte: „Nurmis nächtlicher Weltrekord!“ und schwärmte im Text: „Die Hohe Warte hat sich nachts in ein Freiluftkino verwandelt mit dem fünf Kilometer langen, packenden Sensationsfilm: Paavo Nurmi! Fünf Scheinwerfer leuchten gespenstisch das große Sporttheater ab.“

Wie schon zwei Tage zuvor begeisterte Nurmi die Massen und die Reporter mit seinem einmaligen Laufstil. „Die Füße, die unheimlich langen Füße, raffen Raubtieren gleich, aus den Hüften Meter an sich. Meter um Meter. Die Schritte sind federnd und leicht“, so die Illustrierte Kronen Zeitung, die das Rennen dramatisch Runde zu Runde schildert: „Die letzte Runde. Nurmi läuft wie er im Anfang gelaufen, ganz ruhig, sicher, selbstverständlich. Oh Wunder, die Fahrt wir noch schneller!“

Drei englische Meilen in 14:07,4 Minuten

Als der Sprecher die Weltrekordzeit von 14 Minuten und 7,4 Sekunden über die drei englischen Meilen oder 4827 Meter (korrekt sind es 4828,032 m) verkündet habe, sei „ein Beifallsorkan durch die Arena“ gegangen. Demnach habe der Finne seinen eigenen Weltrekord über die drei englischen Meilen (14:11,2 von Stockholm 1923) um rund vier Sekunden verbessert. Die 5000 m lief Nurmi auf der Hohen Warte in 14:34. Damals hielt er den 5000-m-Weltrekord seit Helsinki 1924 in 14:28,2. Fast alle Zeitungen bejubelten diesen Weltrekord. Die Sache hatte freilich einen Haken. Als offizieller Weltrekord ging die Zeit Paavo Nurmis nie in die Leichtathletik-Geschichte ein. Jene wenigen Zeitungen, die „nur“ von einer Weltbestzeit sprachen, sollten Recht behalten.

Tempomacher wechselten sich ab

Im Handbuch des Leichtathletik-Weltverbandes (International Amateur Athletic Federation) von 1927/1928 wurden auf Seite 68 die aktuellen Weltrekorde aufgeführt, für die drei englischen Meilen jene 14:11,2, die Nurmi am 24. August 1923 in Stockholm gelaufen war. Seine Wiener Zeit fand dort keinen Eingang. Zu offensichtlich war der Verstoß gegen die damals gültige Regel 16 des Weltverbandes, die das Ein- und Aussteigen von Tempomachern verbot: „No competitor shall be alowed to rejoin after leaving the track, either for the purpose of gaining a place or to pace or to assist another competitor.“ Eine Tempoarbeit für Nurmi haben die Staffelläufer von Wien aber eindeutig und mit klarem Auftrag geleistet.

Über die Führungsarbeit der Tempomacher berichtete das Sport-Tagblatt am besten. Diese Zeitung sprach auch nur von einer neuen „Weltbestleistung“, nicht von einem Weltrekord über drei englische Meilen. Hier hieß es, dass nicht, wie eigentlich geplant, eine Staffel mit fünf Läufern als Gegner antrat. Vielmehr war es eine „WAF-Stafette mit drei Aktiven“, und zwar mit Ludwig Deckardt, Rudolf Haidegger und Vicklicky. Gemeinsam mit Nurmi sei nur Henry Bruhnen „vom Mal“ gestartet. Konkret wird berichtet, dass sich die drei Tempomacher „nach je zwei Runden“ ablösten. „Da ungefähr zwölf Runden zu laufen waren, so lief jeder dieser drei Läufer zweimal zwei Runden.“ Erster Staffelläufer sei Deckardt, dann der frische Vicklicky (dessen Schreibweise seines Namens in vielen Zeitungen unterschiedlich war) gewesen. „Auch der dritte Mann, Haidegger, führte natürlich kurze Zeit. Dann sprangen in derselben Reihenfolge wieder Deckardt, Vicklicky und Haidegger ein.“ Sie halfen den Wunderläufer zu seiner Weltbestzeit. Dieser habe „mit seinen federnden, ungeheuer raumgreifenden Schritten anscheinend vollständig mühelos das Tempo“ gehalten. „Nurmi, die blau-weiße Laufmaschine, dieses unerhörte Phänomen, ließ sich führen oder führte selbst, je nachdem es ihm paßte.“

Parallelen zu Kipchoges INEOS 1:59 Challenge

Auch die Wiener Morgenzeitung begnügte sich mit der Bezeichnung „Welthöchstleistung“ und kritisierte: „Recht unglücklich war die Idee, Nurmi fortwährend durch die sich ablösenden Staffelläufer führen zu lassen. Man hätte so wie am Sonntag ein Handikap zusammenstellen sollen, damit das Publikum einen besseren Eindruck von Nurmis Leistung erhalten hätte. Die Staffelläufer lösten einander wiederholt ab und hatten die Aufgabe, den Finnen zu führen.“

Die Parallelen zu Eliud Kipchoges INEOS 1:59 Challenge sind augenscheinlich. Bei seinem Versuch, als Erster einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen, stützt er sich auf die Hilfe zahlreicher Tempomacher. Auch diese steigen – wie einst bei Nurmi auf der Hohen Warte – im Rennen ein und aus. Der feine Unterschied ist freilich, dass Eliud Kipchoge und die Veranstalter von Beginn an darauf hinweisen, dass es deshalb im Prater keinen offiziellen Weltrekord geben kann. Aber sein Start in Wien ist allemal eine Weltsensation, wie bei Nurmi 1926 auf der Hohen Warte…

Nurmi mit Feuerwerk gehuldigt

Den meisten Zeitungen war es aber egal, dass Nurmi von Tempomachern gezogen wurde, jubelten lieber über einen Weltrekord, wie es in diesem Bericht hieß: „Der erste leichtathletische Weltrekord auf Wiener Boden. Ein Festabend der Wiener Leichtathletik. Debüt der Hohen Warte als Nachtarena.“ Die Scheinwerfer der Sascha-Filmgesellschaft hätten in 24 Stunden „ein Feenreich auf der Hohen Warte“ geschaffen und „der gigantischen Leistung des finnischen Laufwunders den würdigen Rahmen gegeben“. Weiter im Text: „Als der Sprecher seine Zeit über 4827 Meter verkündete, da brauste ein Orkan der Begeisterung durch die Arena, der große Finne, der so rasch Wiens Liebling geworden ist, absolvierte die Ehrenrunde unter einem Jubel, wie er auf Wiener Boden noch keinem Sportsmann gespendet wurde.“ Der Tag schwärmte, dass man die „Kunst des Königs des Läufers“ erlebt habe: „Der bescheidene Hero. Der zweite Start Nurmis in Wien war vielleicht noch ein größeres Ereignis als sein Debüt am letzten Sonntag und wird der Wiener Sportgemeinde jedenfalls für lange, lange Zeit in der Erinnerung bleiben.“ Wie am Ende das Feuerwerk zur Huldigung Nurmis.

Der Neuen Freien Presse gelang mit Nurmi nach dem Rennen ein kurzes „Gespräch über seinen Weltrekord“. Darin kritisierte der Finne erneut die Laufbahn, „die nicht erstklassig“ gewesen sei. Vor allem bat Nurmi um die Bemerkung, „daß ich eine derartige Verherrlichung eines Sportmannes für unangebracht halte. Es kostete mich ziemliche Überwindung, die mir abgeforderte Ehrenrunde zu machen.“ Die Neue Freie Presse schrieb dazu: „Seine Bescheidenheit geht so weit, dass er erst förmlich gezwungen werden mußte, die Ehrenrunde zu machen. Er war bereits umgezogen und unterzog sich dieser Prozedur, die ihm eine Marter zu sein scheint, im Anzug, Kragen und Straßenschuhen.“

Das Neue Wiener Journal berichtete: „Es war ein wahres Fest für die Leichtathletik, einen solchen Zuspruch hatte hier noch kein Meeting. Nurmi, der Held des Abends, ist mit maschinenartiger Gleichmäßigkeit gelaufen. Bruttoeinnahmen 18.500 Schilling. Nurmi hat also der Vienna ein hübsches Sümmchen eingetragen.“ Und die Reichspost behauptet: „Die Begeisterung hatte er nicht einmal in Amerika erlebt und wird Wien deshalb dauernd in Gedächtnis bleiben. Nach der unter endlosem Jubel der Zuschauer zurückgelegten Ehrenrunde war Nurmi noch Gegenstand einer besonderen Ehrung: die gesamte Athletenschaft Wiens, Damen und Herren trat in Laufdreß an und huldigte dem großen Meister, indem sie vor ihm defilierte.“

Begeistert von der Waldluft, den Alleen in Schönbrunn und der Operette

Nurmi selbst erwies sich als sehr höflicher und bescheidener Gast. Im Neuen Wiener Journal und im Sport-Tagblattschrieb er einen Bericht unter seinem Namen: „Es ist mir ein Bedürfnis, der gastfreundlichen Bevölkerung Wiens für den großartigen Empfang zu danken, der mir in dieser schönen Stadt zuteil geworden ist. Während meines fünftägigen Aufenthalts hatte ich die Gelegenheit, viel von den Schönheiten Wiens zu genießen. Was mir dauernd in Erinnerung bleiben wird, ist die wunderbare Umgebung der Stadt, vor allem der Kobenzl mit seiner herrlichen Waldluft, die mir seit meinem Sommeraufenthalt in Chamonix nicht so würzig und erfrischend begegnet ist. Auch die geraden Alleen in den Parks, vor allem in Schönbrunn, haben mich begeistert und ich könnte mir keinen idealeren Platz zum Training wünschen als – Schönbrunn. Als Nordländer bewundere ich doppelt die herrlichen Palmen im Schönbrunner Palmenhaus, die mir einen ungeheuren und märchenhaften Eindruck hinterließen. Als Stadt der Kunst habe ich Wien gleichfalls genossen. Meine Wiener Freunde führten mich zum Heurigen nach Grinzing, wo ich das Wiener Wesen in seiner charakteristischen Eigenart sehen konnte, und in einem Theater lernte ich die weltberühmte Wiener Operette kennen.“

Nurmi kündigte, wohl auch als Akt der Höflichkeit, eine Rückkehr für 1927 nach Wien an. Die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung spekulierte im März 1927 schon, ob Nurmi vielleicht bei „Ring-Rund“, dem Lauf über 5,2 km, starten würde. Zumindest sei der Finne eingeladen. Die Neue Freie Presse schrieb Anfang September als Tatsache, dass Paavo Nurmi am 24. und 25. September in Wien über 1500 m und 5000 m laufen würde: „Nurmi startet in Wien.“ Daraus aber wurde nichts. Es sollte noch ein Jahr dauern, dass der große Finne wieder auf der Hohen Warten antreten würde. Dieses Meeting aber wurde ein wahrer Skandal.

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Text: Olaf Brockmann. Der Text fußt auf Durchsicht folgender Zeitungen aus dem Archiv „ANNO - AustriaN Newspapers Online“ der Österreichischen Nationalbibliothek, Jahrgänge 1926 bis 1928: Arbeiter-Zeitung, Arbeiterwille, Das interessante Blatt, Das Kleine Blatt, Der Tag, Die Neue Zeitung, Die Stunde, Grenzbote, Illustrierte Kronen Zeitung, Linzer Tagespost, Neue Freie Presse, Neues Wiener Journal, Prager Tagblatt, Reichspost, Sport-Tagblatt, Tages-Post, Tiroler Anzeiger, Weltblatt, Wiener Bilder, Wiener Morgenzeitung, Wiener Sonn- und Montags-Zeitung.

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